Interview Kultboy, 2009

Kultboy, 2009


"Das Spiel war Schrott und die Musik nicht besser."



?: Fangen wir mal von ganz vorne an: Wie hat deine Karriere als Musiker angefangen? Was hast du davor gemacht?



ms: Ganz zufällig: Ein Freund war auf der CeBit in Hannover und kam zurück und erzählte, er hätte mit ein paar Leuten von einer Firma namens reLine gesprochen - und die würden noch jemanden suchen, der Musik für ein Amigaspiel machen könnte. Und da ich doch eh Musik machen würde, wäre das doch eine lohnende Sache, ich sollte da mal anrufen. Was ich dann auch gemacht habe.



?: Kannst du uns bitte deine Stationen als Musiker aufzählen?



ms: Alle? Au weia. Ab dem Blockflötenunterricht mit 5? Klavierunntericht mit 7? Das würde ja Seiten füllen. Es war das übliche halt - erst Hausmusik, dann mit 15 die erste eigene Band (ein Jazztrio mit Trompete, Klavier und Bass), später dann die Musik für die Games. Da gibt’s ne Aufzählung der Projekte mit Klangbeispielen auf meiner Website. (Vermute ich mal, dass es die noch gibt - ich war schon lange nicht mehr da. :-)



?: Zu welchem Spiel hast du die erste Musik geschrieben?



ms: Das war „Window Wizard“ für den Amiga, für reLine. Auch wenn ich im Nachhinein selbst unter der Folter leugnen würde, irgendwas damit zu tun gehabt zu haben. Das Spiel war Schrott und die Musik nicht besser.



?: Wie hast du deine Kollegen in Erinnerung? Gibt es noch Kontakt zu den ehemaligen Spieledesignern oder zu anderen Musikern wie Hippel, Hülsbeck und Brimble?



ms: Ich hatte wenig Kontakt zu den anderen Musikern. Ab und zu mal mit Chris Hülsbeck, wenn er zufällig in Berlin war, dann 2007 mal wieder auf der GC in Leipzig beim Konzert - da haben wir uns alle mal wieder getroffen, war eine lustige Sache. Dass ich auf den Fotos mit Ole leicht angetrunken aussehe, ist allerdings merkwürdig – es gab definitiv nur Wasser.



?: Wie viel verdiente man früher als Musiker?



ms: Für den ersten Auftrag damals gab es 1500 Mark. Später wurde es dann mehr, wobei die Verdienste ganz unterschiedlich waren. Thalion zahlte so um die 3000 Mark pro Job, Psygnosis locker das Doppelte und Dreifache, andere Firmen wieder weniger, das war auch von der Größe der Firma abhängig. Am meisten gab es, wenn man sich für ein Jahr lang fest bezahlen ließ. Ich war aber immer ein lausiger Geschäftsmann, ich hab da nie groß verhandelt. Und meist auch schon lange angefangen, bevor die Rede auf das Thema Geld kam.



?: Was waren die skurrilsten Erlebnisse als Musiker?



ms: Dass mal jemand von mir auf einer Messe ein Autogramm haben wollte. Das fand ich schon ziemlich skurril - die haben mich wie auch immer mitten in einer Halle erkannt und bestanden drauf... sehr strange… ich bin doch nicht die Beatles! ;)



?: Bei welcher Firma konntest du dich am besten entfalten?



ms: Einmal bei Thalion (wo ich mich ganz wunderbar mit Erik Simon verstand), dann später auch bei Ikarion, für die ich sehr viel gemacht habe. Die Verantwortlichen da (Norbert Beckers und Marc Oberhäuser) haben mir viel freie Hand gelassen.



?: Für welches System hast du am liebsten komponiert?



ms: Da gab es kein Lieblingssystem - immer für das, was gerade aktuell war, ich habe mich überall wohl gefühlt. Na ja, bis auf das Megadrive, das war schon recht umständlich...



?: Könntest du dir vorstellen, noch mal etwas auf einem alten System wie dem Amiga zu komponieren? Oder die Systeme zwecks Sound für deine weiteren Arbeiten zu benutzen, wie die Gruppe Thermostatic?



ms: Ich habe noch einen Amiga im Studio stehen, gestehe aber, dass ich den nur noch selten benutze. Erstaunlicherweise laufen noch immer meine alten Sound-Disketten, selbst die Originale, die ich für Lionheart und Ambermoon benutzt habe.



?: Gibt es einen Soundtrack, auf den du besonders stolz bist?



ms: „Lionheart“ war schon gut - besonders, wenn man überlegt, wie wenig Platz wir für die Musik und die Effekte hatten. Damit würde man heute nicht mal einen Song schaffen. Zanzarah gefiel mir auch sehr gut (für Funatics), außerdem der sehr innovative Soundtrack für Sacred 2 - der es dann am Ende leider nicht ins Spiel geschafft hat. Aber das ist ein anderes Thema. Ach ja, und natürlich „Flink“ - sehr schräge und ausgefallene Sachen, erstaunlich, dass die Jungs von Psygnosis in Liverpool da mitgemacht haben.



?: Gibt es einen Soundtrack, den du vielleicht als weniger erfolgreich, vielleicht sogar misslungen siehst?



ms: Klar, davon gibt’s jede Menge. Und die meisten habe ich auch zum Glück schon wieder vergessen. Aber da war schon viel Schrott dabei. Es hat Zeiten gegeben, da habe ich an fünf Aufträgen gleichzeitig gearbeitet, und vieles davon musste in kürzester Zeit fertig werden - da war dann auch viel Routine dabei, und das Ergebnis wenig künstlerisch.



?: Welches „moderne“ Werk müsste von dir unbedingt den Oscar bekommen?



ms: Da fällt mir gerade keins ein. ;-)



?: Was war dein erster Gedanke über das Projekt Immortal?



ms: Coole Sache - wurde auch Zeit. Ich find’s klasse von Jan, dass er sich da jedes Mal wieder so reinhängt, obwohl es ne Menge Arbeit ist.



?: Wird es ein Immortal 4 geben? Wenn ja, was würdest du gerne noch arrangieren?



ms: Klar gibt es ein Immortal 4. Jan hat es wieder mal auf sich genommen, sich das noch einmal zuzumuten. Allerdings verschieben wir die Deadline immer weiter nach hinten - es ist eben nicht einfach, so viele Leute unter einen Hut zu bekommen. Die meisten von uns haben ja inzwischen einen ehrlichen Beruf. :-) Von mir wird wohl etwas von „Flink“ dabei sein.



?: Wie darf man sich einen Arbeitstag vorstellen? Wie lief das so ab?



ms: Damals oder heute? Damals - also von 1993 bis 2002 (danach habe ich das Komponieren eher nur noch nebenher gemacht) ging’s jeden Tag morgens in mein Studio, um die Songs fertig zu bekommen. Wie ein Handwerker eben, der Stühle schreinert. Auf den großen kreativen Flash konnte ich da nicht warten, ich musste ja fertig werden. Also setzte ich mich hin und klimperte so lange rum, bis etwas fertig war. Wenig aufregend und glamourös, ich geb’s zu. :-)



?: Welche Musik hörst du in deiner Freizeit? In wie fern hat sie dich beim Komponieren beeinflusst?



ms: Frei-was? :-) Querbeet, je nach Stimmung. Gerade aktuell mal wieder Foo Fighters, Beastie Boys, Clawfinger, Nickelback, dann ältere Sachen von Jimi Hendrix oder Birth Control, aber auch gern Sachen aus der Chillout-Ecke, Minimal Music von Reich und Glass oder klassische Lieder (ich hatte selber mal lange Zeit klassischen Gesangsunterricht). Letztens hab ich auch wieder meine alten Jazz-Vinyls rausgekramt, noch mit den Originalkratzern. Auch irgendwie retro.


Und - beim Komponieren beeinflusst das natürlich immer, das ist schon immer da eingeflossen. Ich hab ja auch viel in Bands live gespielt, das ging von Punk über New Wave, Funk, Pop und Rock bis hin zu Heavy Metal. Und da ist dann auch vieles davon in den Kompositionen für die Spiele recycelt worden.



?: Die Songtitel aus Ambermoon tragen alle bekannte Namen, wie bis du darauf gekommen?



ms: Die stammen gar nicht von mir, ich habe meine Songs immer nur durchnummeriert. Bei Ambermoon war es wahrscheinlich Erik, der sich da was ausgedacht hat. Oder vielleicht sind die ja auch viel später dazu gedichtet worden, weil - auf dem Amiga sind die ja eh nie genannt worden, war ja gar kein Platz für.



?: Kannst du uns deinen kreativen Prozess beim Komponieren erläutern?



ms: Das ging entweder über die Melodie, in dem ich mich ans Klavier gesetzt habe und so lange gespielt habe, bis es mir gefiel - oder über den Sound, den ich irgendwo auf einem Sampler oder einer CD gefunden hatte. Der konnte auch inspirieren, aus dem entwickelte sich dann mitunter ein ganzer Song. Viel war aber auch Handwerk. Ich hab ja das Komponieren richtig klassisch studiert, da setzt man sich eben hin und entwickelt eine kleine Idee zu einem größeren Ganzen. Bei einigen Sachen habe ich auch einfach erstmal eine Woche lang nur die passende Musik gehört - wie zum Beispiel bei Caribbean Disaster. Da sollte ich in 14 Tagen 14 Salsa-Songs abliefern. Also habe ich mir Salsa Platten angehört und die sieben Tage lang am Stück gehört, bis ich Salsa dachte. Und dann in den restlichen sieben Tagen die 14 Stücke runtergeschrieben.



?: Gibt es Spiele, die dir besonders in Erinnerung geblieben sind?



ms: Von denen, an denen ich beteiligt war - kein einziges. Ich hatte kaum Zeit, die zu spielen. Und oft waren die auch nicht unbedingt mein Geschmack. Ich hab mir die Aufträge ja nicht danach ausgesucht, ob mir die Spiele gefielen… und sonst von den Retro-Games: Rally Speedway auf dem C64 und die LucasArts-Adventures. Spiele ich heute noch immer wieder mal.



?: Hast du früher Computerzeitschriften wie die ASM, Amiga Joker etc. gelesen?



ms: Na klar doch - die Powerplay (früher Happy Computer – geiler Name) und die ASM. Für einige habe ich damals dann auch hin und wieder geschrieben.



?: Wie viel Prozent hast du von deiner Arbeitszeit gespielt um die passenden Soundtracks zu komponieren?



ms: Sehr wenig. Zumindest am PC und den Konsolen. Viel gespielt habe ich dagegen auf dem Klavier. :-)



?: Spielst du heute noch? Wenn ja, welche Spiele?



ms: Klar - berufsmäßig. Ich teste Games für einige Radiosender (MDR Sputnik, Jump, SWR DasDing) und werde ziemlich gut bemustert. Zur Zeit spiele ich Fallout 3, Prince of Persia, Resistance 2 und Guitar Hero World Tour.



?: Welches System war damals dein Liebling, und welche Systeme besitzt du heute noch? Benutzt du diese noch, und wenn ja, wie oft?



ms: Ich habe alle Systeme noch von früher, nutze aber hauptsächlich die neuen Konsolen und den PC. Die alten Sachen spiele ich auf den Emulatoren - eher aus Bequemlichkeit, ich habe einfach keinen Platz, um noch zehn weitere Konsolen aufzubauen.  Die Konsolen von Sega, vor allem die Dreamcast und die Saturn, waren richtig gut, die laufen auch heute noch bei mir.



?: Was hältst du von Emulation? Spielst du sogar ab und zu mit einem Emulator?



ms: Klar. Ich habe auf der Xbox und der Wii ein paar Emulatoren laufen, außerdem den MAME auf dem PC.



?: Sammelst du Retrosachen?



ms: Ja - alte Konsolen und Spiele. Und lange Zeit hab ich alle alten Zeitschriften aufgehoben, Happy Computer und so. Blöderweise habe ich die dann beim letzten Umzug entsorgen müssen, für fünf Tonnen Altpapier reichte einfach der Platz nicht mehr. Tragisch.



?: Wie beurteilst du die heutigen Soundtracks?



ms: Sehr unterschiedlich. Einiges ist wirklich toll gemacht, da merkt man, dass da inzwischen auch Leute beschäftigt sind, die sonst Filme mit Musik versorgen und Ahnung von der Materie haben. Andererseits stört mich ein wenig der mangelnde Mut zum Risiko. Warum muss jedes Rollenspiel mit orchestraler Musik untermalt werden? Da werden keine Experimente gemacht, mit der Begründung „Der Spieler will das so“. Was ich für Quatsch halte. Der Spieler kennt es nur nicht anders, weil ihm jedes Mal dieselbe Soße vorgesetzt wird.



?: Was bevorzugst du? Synthesizer oder orchestrale Musik?



ms: Da gibt’s kein „entweder - oder“. Und vieles kommt heute auch von Sampling-DVDs, der Synthie als Instrument hat eh schon lange ausgedient. Die Klangvielfalt ist in den letzten Jahren viel größer geworden, alles ist möglich. Für wenig Geld gibt’s schon gute Orchesterlibraries, aber auch aufregende, experimentelle Klänge. Mein absolutes Lieblingsinstrument ist übrigens die Kirchenorgel. Ich hab früher viel an einer riesigen alten Orgel in einer Kirche üben dürfen – und den Klang bekommt man sonst nirgendwo geboten, das geht wirklich in „Mark und Bein“.



?: Was müsste geschehen, damit die heutigen Spiele auch wieder "kultig" werden können?



ms: Werden sie nicht mehr. Dazu ist die Zeit zu schnelllebig, außerdem ist alles schon mal da gewesen. Wir als Konsumenten sind da schon zu abgestumpft, um noch ein Spiel herausheben zu können. Es gibt ja auch keine Kultbands mehr. Auch wenn viele das behaupten.



?: Hast du bestimmte Lieblings-Internetseiten?



ms: Es gibt einige, die ich täglich besuche - viele auch deshalb, weil ich Infos für meinen Job als Spieletester brauche. Dazu gehören gameswelt, gamona, golem und gamefront. Dann natürlich die von MDR Sputnik, dann Amazona.de (für die ich auch schreibe), und natürlich Kultboy.com. :-) Eine Seite, die ich nie besuche, ist meine eigene (audiotexturat.de) - deshalb sieht die auch so schrecklich aus.



?: Wie denkt du über den Unterschied zwischen den Computerzeiten damals und heute? Bist du retro?



ms: Damals herrschte eine positive Aufbruchstimmung, jeder konnte mitmischen, jeder bekam seine Chance, neue Konzepte und Ideen wurden tagtäglich ausprobiert. Heute haben einige wenige das Heft in der Hand und die Spiele werden nach rein kommerziellen Gesichtspunkten entwickelt. Was zur Folge hat, dass wir dauernd denselben Einheitsbrei vorgesetzt bekommen, weil sich niemand mehr etwas traut. Und junge Kräfte auch gar nicht mehr das Geld haben, um da mitzuhalten.



?: Wie denkst du über Retro-Fanatiker wie uns? Ist das cool oder haben wir doch nur alle 'nen Schuss?



ms: Nö, Retro ist doch ne tolle Sache. Zocken hat früher eh viel mehr Spaß gemacht. An „Rally Speedway“ auf dem C64 hab ich früher ganze Nächte gesessen - das schafft heute kein Spiel mehr. Und ich hab das Haus ja auch noch voll von alten Konsolen, bin also auch ein Retrofan.



?: Was sind deine jetzigen Projekte? Was würdest du jetzt am liebsten machen? (Vielleicht eine Erkennungsmelodie für unsere Seite schreiben? :-) )



ms: Ich arbeite fürs Radio, schreibe viel für Magazine (Music & PC, Amazona.de), betreibe mit einem Kollegen eine Agentur für Radio Press Kits - und habe daher wenig Zeit für Musik. Ein wenig werkele ich an der Immortal 4, auch schwebt ein neues Projekt im Raum, ein sehr innovatives Game für die PS3, mit bekannten Entwicklern. Leider hat sich der potentielle Publisher bisher nicht klar dazu geäußert, das zieht sich alles schon sehr lange hin - keine Ahnung, ob jemals daraus was wird.



?: Eventuell die Ambermoon-CD produzieren? 275 Leute wären dir sehr dankbar!



ms: Ja, das würde mir tatsächlich auch Spaß machen. Ich warte da nur noch auf eine Kalenderreform, die mir endlich den dazu notwendigen 48 Stunden-Tag beschert, dann kann’s losgehen. :-)



?: Danke für das Interview Matthias, wir wünschen dir noch viel Erfolg in deinem weiteren Leben.


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