Anno 1800
Wenn das Marx und Engels wüssten...
Seit gut vier Jahren warteten die Anno-Fans nun schon auf eine Fortsetzung der Kult-Aufbauserie. Nachdem Ubisoft schon auf der Gamescom 2017 erste Eindrücke vorgestellt hatte – und den Release dann Anfang des Jahres noch mal ein wenig verschoben hatte – ist es nun endlich so weit: Anno 1800 ist da! Nach den letzten beiden futuristischen Ablegern – Anno 2070 und Anno 2205, mit denen ich nie so richtig warm geworden war – geht es nun endlich wieder zurück in die Wohlfühlepochen. Anno 1800, das heißt Aufbruch aus der ländlich-handwerklichen Zeit in das industrielle Zeitalter.
(Copyright: Ubisoft)
Kampagne mit kleinen Fehlern
Zu Spielbeginn habt Ihr die Wahl zwischen Freiem Spiel, Kampagne und auch endlich wieder Multiplayer. Bei letzterem gibt’s aktuell nur einen Vierer-Versus, ein Koop-Modus soll aber bald kostenlos nachgereicht werden. Starten wir mal mit der Kampagne. Deren Story startet ganz verheißungsvoll, ist schön in den Spielablauf integriert und auf jeden Fall um Längen besser als die des Vorgängers. Was nun aber auch nicht so schwer ist. Aber leider auch lange nicht so gut wie die von Anno 1404.
Nachdem der Vater im Gefängnis gestorben war – wo er wegen angeblicher Betrügereien gesessen hat – vertreibt euch euer Onkel aus der Stadt, fordert Unsummen für die Begleichung der Beerdigungskosten, schwärzt euch und eure Schwester beim König an und macht euch das Leben auch sonst so schwer wie möglich. Worauf ihr euch woanders niederlasst und neu anfangt.
Wie gesagt: Klingt gut, wird mit der Zeit aber immer seltsamer und unglaubwürdiger und endet dann ziemlich abrupt, ohne alle Fragen zu beantworten. So als wäre dem Drehbuchautor die Zeit und die Ideen ausgegangen. Aber immerhin taugt die Kampagne als Tutorial, und außerdem kann man mit dem Erreichten auch direkt im Freien Spiel weitermachen – sie ist also nicht völlig umsonst.
(Copyright: Ubisoft)
Das neue Klassensystem
Hier wie da startet ihr ganz vertraut mit einem Marktplatz, einigen Bauernhäusern und einigen Feldwegen. Es folgen die ersten einfachen Produktionsketten: Schweinefarm und Metzger, Schafzucht und Weberei für Klamotten, Kartoffeln und Schnapsbrennerei für das Hochprozentige oder Holzfäller und Sägewerk für Bauholz. Danach Feuerwehr und Polizei für die Sicherheit, Kirchen für den Seelenfrieden, neue Lagerhäuser und Kneipen, damit die Leute auch ihren Spaß haben.
Schnell offenbart sich da die wohl größere Neuerung in Anno: Das Klassensystem. Stiegen früher die Bewohner automatisch immer weiter auf, werden jetzt Bauern, Arbeiter, Handwerker und Ingenieure gleichermaßen und immer gebraucht – daher wird nun auch von Hand gelevelt. Wer nur auf Ingenieure setzt, hat niemanden mehr für die Feldarbeit oder für die Arbeit in den Fabriken.
Mit der Zeit werden die Produktionsketten immer komplexer, auch die Ansprüche der Bevölkerung steigen. Mit Stahl zum Beispiel (dafür braucht es eine Eisenerzmine, eine Köhlerei, einen Brennofen und ein Stahlwerk) und Segeltuch könnt ihr eine Schiffswerft und damit Schiffe bauen. Und damit neue Inseln entdecken, Handelsrouten einrichten, euch gegen Piraten verteidigen, Expeditionen losschicken und sogar in die Neue Welt reisen, um dort Kolonien zu gründen und von dort Sachen zu importieren, die es zu Hause nicht gibt.
(Copyright: Ubisoft)
Noch mehr Neuigkeiten
Und auch sonst gibt es einige neue Features. So müsst Ihr in der Solokampagne hier und da Entscheidungen treffen, die für leicht geänderte Abläufe führen, wird erstmals auch die Attraktivität eurer Siedlungen mit bewertet, könnt ihr Expeditionen losschicken, die Objekte und Experten mitbringen, die wiederum – in Handelshäusern eingesetzt – eure Produktionen ankurbeln und habt ihr die Möglichkeit, die Meldungen in der Zeitung mittels Einflusspunkten durch Fakenews zu ersetzen – was zwar die Bevölkerung beruhigt, die KI-Mitspieler aber gegen euch aufbringen kann.
Von denen bekommt ihr auch zwischendurch kleinere Nebenquests, wie Waren überbringen, seltene Blümchen suchen oder Schiffbrüchige einsammeln. Meist reicht es da, von A nach B zu schippern oder die Karte nach blinkenden Pfeilen zu durchforsten. Nicht sonderlich aufregend.
(Copyright: Ubisoft)
Krieg? Nur auf dem Wasser!
Wenn die Diplomatie mal scheitert, könnt ihr auch Kriege führen. Die finden aber ausschließlich auf dem Wasser mit acht unterschiedlichen Kampfschiffen vom Segelboot bis zum Dampfbetriebenen Kanonenboot statt, Landschlachten gibt es nicht. Wer eine Insel erobern will, muss dafür nur das Hafengebäude zerstören. Anschließend könnt ihr die Insel einfach als Kolonie für euch zahlen lassen, oder alles platt machen und diese selber besiedeln.
(Copyright: Ubisoft)
Mit der Zeit immer besser
Wo bei anderen Aufbauspielen mit der Zeit Routine und Langeweile einkehren, wird Anno 1800 mit fortschreitender Spieldauer – und damit mit komplexeren Produktionsketten, immer neue Gebäuden und neuen Möglichkeiten – immer besser. Was auch am gewählten Zeitalter liegt: So kommen mit den Ingenieuren auch die Elektrizität und die Eisenbahn. Was bedeutet, dass wir unsere langwierig gewachsene Infrastruktur komplett neu ausrichten müssen.
Wunderschöne Spielwelt
Was die Spielwelt angeht, gehört Anno 1800 zu den Besten. Dank Detailverliebtheit und 1A-Animationen ist die an Lebendigkeit kaum noch zu toppen, da möchte man manchmal einfach nur ein paar Minuten zuschauen. So zog beim letzten Bierfest in meiner kleinen Stadt tatsächlich eine bunte Musikkapelle durch die Straßen, begleitet von jubelnden Menschen und rennenden Kindern am Straßenrand. Und das Beste daran: Das alles gibt’s auch auf schwächeren Systemen wie z.B. auf meinem i5-8250 Notebook zu sehen.
(Copyright: Ubisoft)
Fazit
Ach, es gäbe ja noch so viel zu Anno 1800 zu sagen. Ich könnte von Investoren und ihrem Hang zu Luxuswaren berichten, von wundersamen Plantagen in Südamerika, von einem großartigen Endgame mit einem fantastischen Monumentalbau, davon, dass Anno 1800 sich auch offline spielen lässt, von logisch agierenden KI-Gegnern und einem extrem hohen Wiederspielwert. Aber: Schaut es euch doch einfach selber an. Denn wer diese Game verpasst, ist selber schuld. Das ist der neue Genrekönig. Der für mich sogar über dem legendären Anno 1404 thront.
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