Review 200902 Mortal Shell

Mortal Shell

Der Indie-Soulslike

 „Soulslike“ – also Games in der Machart von Dark Souls – ist mittlerweile ein fester Genrebegriff geworden. Heißt übersetzt: Actionlastiges, bockeschweres und ziemlich düsteres RPG, bei dem es auf technisches Können und nicht auf zeitintensiven Sammeleifer ankommt. Und in dem ihr fast im Sekundentakt sterbt. Die Liste durchaus gelungener Soulslike-Games mit Titeln wie Nioh, Sekiro, Code Vein oder The Surge ist mittlerweile lang. Nun ist mit Mortal Shell ein weiteres erschienen, das vom britischen Indie-Studio Cold Symmetrie entwickelt wurde. Soulslike von einem Indie? Ist das nicht eine Nummer zu groß für die? Schaun wir mal nach.

(Copyright: Cold Symmetrie)
Entwarnung

Vorab da gleich mal eine Entwarnung: Zu den Gründern von Cold Symmetrie gehören  durchaus Leute mit viel Erfahrung. So zum Beispiel Vitaly Bulgarov – ehemals Cinematic Artist bei Blizzard – oder Anton Gonzalez, der zuvor Senior Environment Artist bei Sucker Punch war. Man darf also davon ausgehen, dass die da wissen, was sie tun.

Fallgrimm heißt die düstere Welt, in der ihr in einem leeren, weißen Körper beginnt. Keine gute Ausgangslage, weil besagter Körper schon beim ersten Treffer das Zeitliche segnet und auch sonst nicht gerade eine Ausgeburt an Stärke, Können und Technik ist. Da muss schnellstens ein Upgrade her. Und bis man das gefunden hat, sollte man möglichst jede Art von Ärger tunlichst vermeiden. Da hilft auch das Schwert nicht weiter, das ihr gleich am Anfang bekommt. Da kann das Schwert noch so fett sein: Wenn sein Träger ein ziemlicher Lappen ist, nutzt auch die beste Klinge nix.


(Copyright: Cold Symmetrie)
Körperwelten

Was macht man, wenn der eigene Körper nix taugt? Entweder trainieren und Proteine fressen oder sich einfach einen fremden Körper suchen, in den man kurzerhand schlüpfen kann. Wie praktisch, dass da gleich vier davon im Wald zu Beginn versteckt sind, die sich grundlegend unterscheiden.  Der Schurke bzw. Altardiener  hat viel Ausdauer, der König viel Lebensenergie, der Gelehrte viel Entschlossenheit, der Vasall schließlich von jedem ein bisschen.

Schlüpft ihr nun in einen der Körper, eignet ihr euch damit auch dessen Geschichte, Namen, Ausrüstung und Fähigkeiten an. Die aber anfangs noch nicht entwickelt sind; bis zu 10 davon könnt ihr pro Körper anlegen und mit der Zeit ausbilden. Die Fertigkeiten kauft ihr bei der merkwürdigen Sester Genessa im Fallgrim Tower, bezahlt wird mit der Währung Tar (die es für besiegte Feinde gibt) und mit „Glimps“, zu Deutsch: Einblicken. Und auch die gibt’s von den Gegnern.

Praktischerweise kann man die Hüllen wechseln – nicht auf Knopfdruck, aber es geht. Man muss sich also nicht auf einen Charaktertypen festlegen. Was auch gut ist, da die Gegner euch vor immer neue Herausforderungen stellen, so dass ihr mal mit der einen, mal mit der anderen Hülle mehr Erfolg habt. Da ist eben Vielseitigkeit gefragt.

(Copyright: Cold Symmetrie)

An die Waffen

Eure Bewaffnung bleibt dabei überschaubar: Davon gibt es nämlich nur insgesamt vier, mit gerade mal jeweils zwei Spezialattacken, die zudem auch noch erst freigeschaltet werden müssen. Da gibt es die Klinge des Märtyrers, die frostige Specials auf Lager hat, das Heilige Schwert mit einem riesigen Dorn, den schwelenden Streitkolben, der Gegner in Brand setzen kann oder Hammer und Meißel, die bei Drehungen die Feinde in nächster Nähe mit einem parfümierten Räuchergefäß verletzen .
(Copyright: Cold Symmetrie)
Balancing-Probleme

Sowohl bei den Charakterhüllen als auch bei den Waffen hat das Game aktuell aber noch leichte Balancing Probleme. Schurke Tiel ist der mit Abstand ausdauerndste unter den vier Hüllen-Kollegen. Und da bei Mortal Shell – wie bei den meisten Soulslike-Games – ohne einen langen  Ausdauerbalken nichts geht, werden wir vermutlich alle irgendwann bei Tiel landen.

Und auch bei den Waffen fällt die Wahl in meinen Augen zumindest nicht sonderlich schwer. Frostige Klingen oder brennende Kolben sind ja gut und schön, doch wiegen Hammer und Meißel das mit ihrem irren Tempo mehr als auf. Wer einmal damit rumgewirbelt ist, hat vermutlich kaum noch Bock auf die weitaus schwerfälligeren anderen Hieb- und Stichwerkzeuge.

(Copyright: Cold Symmetrie)
Nebulöse Story

Aber zurück zur Story. Die gibt sich genreüblich recht undurchsichtig und nebulös. Ja, genau genommen ist hier alles noch viel undurchsichtiger und nebulöser, weil – erklärt wird eigentlich gar nichts und so was wie eine Map oder ein Tagebuch findet sich auch nicht. Wobei ich das mit dem Tagebuch ja eh immer schon recht merkwürdig fand: Welcher knallharte Held, der eben noch 50 Dämonen weggehauen hat, setzt sich denn bitte anschließend hin und schreibt in seinem Tagebuch? Vielleicht sogar noch eines mit einem kleinen Einhorn auf dem Einband? Geht gar nicht.

Wo war ich? Richtig, undurchsichtige Geschichte und Welt. Warum sind wir da? Woher kommen die Hüllen, die wir übernehmen? Wie bekomme ich diese Schatztruhen auf? Was fange ich mit den Sachen an, die ich finde oder erbeute? Was können die? Wer ist dieser unansehnliche Typ mit der Hakennase. Und was ist dieses Teil, das ich für ihn besorgen soll?

Not malt man sich wie in den „guten alten Zeiten“ eigene Karten, um sich in dem verschachtelten, angsteinflößenden Labyrinth aus Wäldern, Höhlen, Sümpfen und Tunneln einigermaßen zurecht zu finden. Hin und wieder ereilen uns Visionen, die uns kleine Hinweise auf wichtige Locations und Objekte geben. Dazu ein paar Erinnerungen und Inschriften, den Rest müssen wir uns halt irgendwie zusammenreimen.


(Copyright: Cold Symmetrie)
Fights & Versteinerungen

So liegt der Schwerpunkt des Spiels dann auch weniger auf Rollenspiel und Story, sondern mehr auf der Action, also auf den Kämpfen. Die hier recht Souls-typisch ablaufen: Das Angriffsmuster der Gegner lesen, eine passende Taktik zurecht legen und dann ran. Ausweichen, Wegrollen, zwischendurch Treffer setzen und so weiter. Einen Schild zum Blocken habt ihr nicht, dafür könnt ihr aber entweder kontern oder kurz zu Stein werden – das sogar mitten in einem Angriff – und so Schläge an Euch abtropfen lassen. Allerdings braucht der Skill anschließend wieder einige Sekunden, bis er wieder aufgeladen ist.

Mit erfolgreichen Attacken ladet ihr eure Entschlossenheitsanzeige auf.  Ist die voll, könnt ihr umso heftiger Kontern. Die wiederum auch wertvolle Gesundheit bringen können. So greift eins ins andere.

Trial & Error heißt es da. Ist euer Lebensbalken leer, ist das aber nicht das Ende: Beim ersten Mal werdet ihr aus eurer Hülle geschleudert und habt ein paar Sekunden Zeit, die wieder zu entern. Oder wegzurennen und eine andere zu suchen, um damit die verlorenen Sachen doch noch zurück zu erobern. Werdet ihr dabei aber getötet, wacht ihr bei Sester Genessa im Tower wieder auf und müsst von dort wieder starten.

Einmal angeschlagen, erholt ihr euch auch nicht automatisch. Dann müsst ihr langsam nachwachsende Pilze sammeln oder ordentlich spachteln, um wieder zu Kräften zu  kommen. Oder euch von Genessa heilen lassen.


(Copyright: Cold Symmetrie)

Schröckliche Gestalten & Fantasy-Welten   

Bei der Gegnerschar hat Entwickler Cold Symmetrie eine formidable Sammlung gar schröcklicher Gestalten aufgefahren. Kapuzenriesen und Leichenfledderer, giftige Kröten, Vampire, Geister, riesige Ritter und untote Banditen, die nach getaner Arbeit gemütlich am Lagerfeuer abhängen und pfadfindermäßig in die Saiten greifen.

Die düstere Mittelalter-Fantasywelt mit ihren Rittern, moosbewachsenen Gemäuern, mächtigen Säulen, dunklen Pfaden, unheimlichen Wäldern, Höhlen und Abkürzungen sieht aus wie bei Dark Souls geklaut – was ja nichts schlechtes sein muss, aber etwas mehr Eigenständigkeit wäre schon schön gewesen. Auch hätte ich es begrüßt, wenn der ein oder andere NPC etwas weniger auf die mystische Salbaderhupe gedrückt hätte: Weniger pseudo bedeutungsvoller Blödsinn, der mit bedeutungsschwangerer Stimme vorgetragen auch nicht besser wird, dafür mehr Fakten.



(Copyright: Cold Symmetrie)

Technisch sauber

Aber trotzdem ist man gebannt von dieser trotz allem  ja fremdartigen Welt. Was zum einen daran liegt, dass diese uns anfangs ohne jedwede Erklärung um die Ohren geschlagen wird, zum anderen aber auch am fantastischen Sounddesign, das mit seinen unheilvollen Far Distance-Geraschel, Geheule, Gejammer und Gestöhne dafür sorgt, dass wir nie vergessen, dass dies eine feindselige Welt ist.

Überhaupt ist es erstaunlich, was dieses relativ kleine Team da technisch auf die Beine gestellt hat. Die Gebiete sind detailliert und abwechslungsreich, die Animationen extrem fluffig, das Artdesign überzeugt – auch wenn ich mir da noch mehr Interaktion mit der Umwelt gewünscht hätte. Auch der Sound ist jetzt nicht ganz ohne Fehler und hat zum Beispiele Probleme, die Entfernungen akustisch korrekt wiederzugeben, überzeugt aber ansonsten mit guten Stimmen, einem feinen Soundtrack und passender Atmogestaltung.

 

(Copyright: Cold Symmetrie)

Fazit

Fazit: Auch wenn es Mortal Shell bisweilen mit der Verbeugung vor Darksouls etwas übertreibt und beim Abkupfern über das Ziel hinaus schießt, hat das Game doch genug eigenständige Ideen, um sich als adäquater temporärer Dark Souls Ersatz anzubieten. Sicher, bei Bossfights und Leveldesign ist das große Vorbild klar überlegen, dafür aber wirft der ganz eigene Rhythmus der Kämpfe (Stichwort: Verhärtung) und das spannende Erkunden der fremdartigen Welt ausreichend Gegengewichte in die Waagschale. Das ist definitiv eines der besseren Soulslike-Games. Respekt.

Game: Mortal Shell

Genre: Soulslike RPG

Release: 18.08.2020 (PC, PS4, Xbox One)

Entwickler/Publisher: Cold Symmetry / Playstack

USK: aab 16

Sprachausgabe/Texte: Englisch /Deutsch

Webseite: https://www.mortalshell.com/

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