Review 200910 Marvels Avengers

Marvel’s Avengers

Ansehnlicher Klopper

Nachdem ich ausführlich die Beta gespielt hatte, dachte ich „Das war ja wohl nix“. Endlos lange und lahme Kämpfe, aus denen man im Fall eines Ablebens von jetzt auf gleich im Sekundentakt herausgerissen wurde, um sich erstmal für die nächsten Minuten den Ladebildschirm anzuschauen und kaum Abwechslung. Dazu kamen Framerateeinbrüche und Bugs jeglicher Couleur. Gar nicht zu sprechen von den ganzen Drohungen der Entwickler, das Game mit irgendwelchen Challenges, Loot Gekloppe und Battle Passes vollstopfen zu wollen – überholte Features, mit denen andere Games in den letzten Monaten reihenweise an die Wand gefahren sind. Soll heißen: Meine Erwartungen an Marvels Avengers waren nicht sonderlich hoch. Und das ging vielen anderen wohl auch so, wenn man mal so durch die Foren stöbert. Aber ist es dann am Ende wirklich so übel geworden? Immerhin steht da Marvel drauf. Und Avengers! Superhelden! So schlecht kann es doch gar nicht sein. Oder etwa doch?

(Copyright: Square Enix)
Nimm zwei

Eigentlich bestehen Marvels Avengers ja aus zwei Spielen. Da ist einmal die klassische storybasierte Solo-Kampagne, die mit 10-15 Stunden Spielzeit zwar durchaus als komplettes Game durchgeht, aber trotzdem nur eine Art Aufwärmprogramm für den Multiplayer sein soll. Der wiederum als eine Art „Games as a Service“ wie etwa Anthem oder Destiny angekündigt ist – es sollen also in den nächsten Jahren ständig neue Inhalte hinzukommen..


(Copyright: Square Enix)
Darum geht‘s

Das ganze beginnt mit dem A-Day, dem „Superhelden-Feiertag“. Die ganze Bevölkerung von San Francisco ist auf den Beinen, um ihren fünf Avengers – Captain America, Iron Man, Thor, Black Widow und Hulk) zu huldigen, die ihrerseits eine neue wissenschaftliche Entwicklung vorstellen wollen, den Helicarrier. Was als großes friedliches Event für die ganze Familie beginnt, kippt aber schlagartig ins Chaos, als unbekannte Angreifer das Fest und die Stadt attackieren. Bei dem Angriff wird auch der Helicarrier der Avengers unter Beschuss genommen und augenscheinlich sabotiert, um entführt zu werden.

Am Ende stürzt der Carrier – auf dem sich viele Besucher befinden – ab. Zahllose Menschen kommen dabei ums Leben, darunter auch Captain America (so siehts zumindest es. Aber da wir ja wissen, dass der als eine der spielbaren Figuren im Game aufgeführt wird, ahnen wir, dass der irgendwo, irgendwie, irgendwann wieder auftaucht. Noch schlimmer aber ist, dass bei dem Absturz der Hauptreaktor des Schiffes mit seinem Terrigen-Antriebskristall zerstört wird, wodurch Terrigen in gasförmiger Form freigesetzt wird. Avenger-Kenner wissen, dass dieser Stoff aus Inhumans Mutanten machen kann. Die hier dann das erste Mal auftauchen. Alles kein Problem, solange das kontrolliert abläuft. Was hier aber nicht der Fall ist.

(Copyright: Square Enix)

Gebt mir ein A, gebt mir ein I, gebt mir ein M!

Stadt kaputt, Seuche, Mutanten – die Beliebtheitswerte der Superhelden fallen in den Keller. Sie sollen an allem schuld sein. Am Ende werden die Avengers und ihre Aktivitäten, aber auch Stark-Industries  verboten. Eben noch Superheld – jetzt Arsch vom Dienst. So schnell kann das gehen. Ende Rückblick, 5 Jahre später. Die Avengers sind alle ihrer Wege und sich am Ende aus dem Weg gegangen. So ähnlich wie bei den Spice Girls damals: Ist der Ruhm durch, geht der Zickenkrieg los. Im Rampenlicht steht jetzt eine Organisation namens Advanced Idea Mechanics oder kurz A.I.M. bzw. Aim. Die machen weiter Stimmung gegen die eh schon am Boden liegenden Avengers, aber auch gegen die Inhumans.
(Copyright: Square Enix)
Kamala bringt‘s

Tja, an der Stelle könnte die Geschichte auch schon wieder zu Ende sein. Cpt. America tot, der Rest der Avengers zerstritten, der Helicarrier ist Schrott und böse Mächte sind an der Macht. Sieht nicht gut aus. Aber da ist ja zum Glück noch Kamala Kahn aka Ms Marvel, eine pakistanisch-amerikanische Teenagerin und zudem glühender Fan der Avengers. Sie war auch am A-Day auf dem Carrier. Da sie nun aber selber auch Inhuman ist, ist auch sie von der Superheldeninfektion betroffen. Ihre besondere Fähigkeit sind ihre fortan gummiartigen Extremitäten, die ihr sowohl bei der Fortbewegung als auch im Kampf besondere Dienste leisten. Woran sie sich aber auch erst noch gewöhnen muss.

Sie jedenfalls will die Avengers wieder zusammenbringen, damit sie endlich den Arsch hochkriegen und AIM die Stirn bieten. Ok, eine Avengers-Reunion ist jetzt nicht so wahnsinnig innovativ, die hatten wir ja sowohl in den Comics als auch im Kino schon so einige Male, aber Spaß macht das immer wieder. Vor allem, wenn das so gut inszeniert wird wie hier.

Anders als in den anderen Superhelden-Games gibt’s hier im Mittelpunkt – dank Mix aus Superkräften und kreischendem Fangirl – eine bodenständige, sympathische Protagonistin, die ihr Glück, plötzlich dazu zu gehören, noch gar nicht fassen kann – und bei der die Identifikation daher einfach viel leichter fällt. Die muss man einfach gern haben. Auch, weil sie oft etwas ruhigere, manchmal sogar melancholische Töne ins Spiel bringt – etwa, wenn sie Bruce Banner über den Verlust seines Kumpels Steve hinweg helfen will. Und so der sonst üblichen Daueraction einen schönen Kontrapunkt entgegensetzt, auf den unsere Superhelden mitunter erfrischend irritiert reagieren. Aber auch wenn Kamala der Star des Games ist, spielt ihr natürlich auch die anderen Avenger-Superhelden. Jede bekommt da gleichermaßen ihren Anteil in den insgesamt 16 Missionen. So könnt ihr nach und nach die Stärken und Schwächen der einzelnen Figuren kennen lernen und ausprobieren.


(Copyright: Square Enix)
Story: Top 

Die Story selber ist toll geschrieben. Kein Wunder, stammt sie doch von Shaun Escayg, der auch schon für Uncharted: The Lost Legacy verantwortlich war. Und der weiß einfach, wie man so eine Story mit einer gesunden Mischung aus Drama, Emotionen, Epos und Action inszeniert. In ihren besten Momenten erinnert das an Spiele wie Tomb Raider oder eben an Uncharted.


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Missionen, Level, Kämpfe: Weniger top

Bei den Missionen ist meine Begeisterung deutlich gedämpfter. Zum Teil finden sich auch dort richtig gute, abwechslungsreiche und mitunter sogar witzige Passagen. Aber leider dann auch wieder oft auch die Monotonie, die mir schon in der Beta auf den Keks gegangen ist. Mit endlosen Schlauchleveln und den immer gleichen Gegnern, den immer gleichen lahmen War-Zone Missionen, Drop Zones, speziellen Hero Missions und lahmen Trainingsmissionen im Holo-Übungsraum.

Dass wir uns nicht falsch verstehen: Es gibt durchaus große Momente in der Kampagne, auch ist man da um Abwechslung bemüht. Schleichen, Action-Flugeinlagen, Boss Fights und eingestreute kleine Rätsel – das hört sich doch nicht schlecht an und ist es zuweilen auch nicht. Nur ist das leider nicht die Regel, sondern wird immer wieder durch Leerlauf unterbrochen. Auch die Kämpfe versprechen viel Abwechslung: Sechs Helden mit jeweils gut 10 Talentbäumen und immer neuen Attacken – klingt das nicht nach aufregenden, von Taktik geprägten Fights?

Letztendlich läufts dann aber meist doch nur auf ein ziemliches heftiges Button-Mashing hinaus, bei dem es fast egal ist, welchen Helden wir gerade unter dem Gamepad haben.  Ob ich nun einen Hammer schmeiße oder Gummiarme ausstrecke ist egal. Die jeweiligen Spezialattacken sehen zwar toll aus und machen Spaß, aber spätestens nach dem zehnten Mal hat man sich dann auch da satt gesehen. Wenn man denn überhaupt was sieht, weil das meist recht heftige Effektgewitter so ziemlich alles zukleistert. Weniger wäre da mehr.



(Copyright: Square Enix)

Loot lahmt, KI auch

Und auch der ganze Loot ist letztendlich lame. Klar, ihr verbessert damit eure Grundwerte, buffed hier und da, aber er liefert absolut nichts neues. Keine neue Waffen, keine neuen Mechaniken, einfach nur mehr und besseres vom alten. Das anschließend immer noch so aussieht  wie vorher, weil die neuen Teile einfach nicht sichtbar werden. Da verliert man schnell die Lust, dem Loot hinterher zu jagen. Am Ende klickt man einfach nur noch auf „beste Ausrüstung einsetzen“, um die Sache schnell hinter sich zu bringen.

Ach ja, und noch eins ist mir übel aufgestoßen: Auch in der Solo-Kampagne seid ihr meist mit mehreren Avengers unterwegs. Ihr steuert einen, den Rest übernimmt die KI. Die ihren Namen aber kaum verdient, die müsste eher KB, also Künstliche Blödheit heißen. Weil die eigentlich nie das tun, was sie sollen und absolut keine Hilfe sind. Strategie? Kennen die nicht, die sind selten da, wo sie sein sollten und machen fast nie das, was gerade am besten wäre.



(Copyright: Square Enix)

Multiplayer: Abwarten

Und die meisten dieser Probleme schleppen Marvels Avengers dann auch mit in den Multiplayer. Lahme Missionen, lahmer, unerheblicher Loot, wenig Abwechslung und Helden, die sich fast identisch spielen, so dass eine sinnvolle übliche Rollenverteilung nach Nahkämpfer, Fernkämpfer, Buffer und Tank überflüssig ist.

Ihr habt Händler, Basen, Fraktionen, In- und Out-Game Währungen, Mikro-Transaktionen, generische Klimazonen und Städte, Daily Missions – alles schon da gewesen, nichts ist neu davon. Nur dass das in anderen Games einfach interessanter ist und besser funktioniert. Aber gut, auch Destiny hatte anfangs mit derartigen Problemen zu kämpfen und hat lange gebraucht, um sich aus diesem Sumpf zu befreien. Deshalb sollte man Marvels Avengers ein Chance und Zeit geben, um sich zu entwickeln. Denn das ist dringend nötig.

(Copyright: Square Enix)

Technisch solide

Zumindest technisch macht das Game aber einen soliden bis guten Eindruck. Besonders die Avengers sehen toll aus und sind erstklassig animiert, auch die Effekte sind beeindruckend, kommen halt nur manchmal übermäßig viel zum Einsatz. Wobei gerade dann die Framerate gerne mal in die Knie geht. Die englische Synchro ist klasse, die deutsch ok – wer kann. Sollte sich das Original anhören. Klasse ist schließlich auch der Soundtrack von Bobby Tahouri, von dem auch die Mucke zu Rise of the Tomb Raider stammt.

(Copyright: Square Enix)

Fazit

Marvels Avengers punktet klar bei der Story, der Inszenierung und seiner liebenswerten Heldin und bietet überdies massig Fanservice. Weshalb gerade die Fans das Game lieben werden. Aufgrund der lahmen Missionen und des oft lieblosen Leveldesigns hapert es momentan aber noch gewaltig an der Langzeitmotivation. Wenn die Entwickler da noch nachlegen, könnte das doch noch was werden. So reicht es für 1-2 Stunden Spaß am Tag – ein solider, ansehnlicher Klopper, der augenblicklich noch viel Potential verschenkt.   

Game: Marvel’s Avengers

Genre: Action

Release:  14.08.2020 (PC, PS4, Xbox One, Google Stadia)

Entwickler/Publisher: Crystal Dynamics / Square Enix

USK: ab 12

Sprachausgabe/Texte: Deutsch /Deutsch

Webseite: https://avengers.square-enix-games.com/de/

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