Close to the Sun
Bioshock light... ultralight...
Größenwahnsinnige Experimente, die schief laufen, Risse in der Zeit, psychopathische Killer, ein gigantisches Forschungsschiff, Nikola Tesla und eine junge Reporterin: Wie das alles zusammenpasst, erfahrt Ihr im Gamecheck zum ambitionierten Indie-Titel „Close to the Sun“.
(Copyright: Storm in a Teacup)
Who the fuck is Tesla?
Tesla? Ist das nicht der mit den Elektro-Autos? Nein, wie wir natürlich alle wissen, war Tesla ein kroatischer Erfinder, Physiker und Elektroingenieur, der sich vor allem in der elektrischen Energietechnik einen Namen gemacht und bis zu seinem Tod 1943 über 280 Patente erhalten hatte. Warum ich Euch das erzähle? Weil dieser Tesla auch eine bedeutende Rolle in dem PC-Game „Close to the Sun“ spielt.
(Copyright: Storm in a Teacup)
Die Titanic als Ruderboot
Aber der Reihe nach. Close to the Sun spielt 1897. Nikola Tesla hat – in einer alternativen Geschichtslinie - das Energieproblem der Welt gelöst und sich dabei gegen seinen Konkurrenten Edison durchgesetzt. Was ihn zu einem reichsten Mann der Erde und einem ziemlich selbstherrlichen Typen machte, der sich sogar selber ein Museum zu seinen Ehren einrichtet. Und zwar auf einem gigantischen Schiffskomplex, der Helios, ausgestattet mit Forschungslaboren, Wohnkomplexen, Ballsälen und Theatern und sogar einer eigenen Zuglinie. Dagegen wirkt die Titanic wie ein Ruderboot. Und dort hat Tesla die bedeutendsten Wissenschaftler seiner Zeit versammelt, um an großen und größenwahnsinnigen Projekten zu forschen.
Schwesternwirtschaft
Dann aber läuft eines der Experimente anscheinend komplett aus dem Ruder. Das muss die junge Reporterin Rose feststellen, als sie auf der Helios eintrifft. Ihre Schwester Ada, die dort arbeitet, hatte ihr einen Brief geschickt und um ihr Kommen gebeten. Als sie dort aber ankommt, findet sie ein menschenleeres, teilweise verwüstetes Schiff und ein großes Schild am Eingang vor. Schnell meldet sich Schwester Ada dann auch schnell über Funk. Und ist – bei aller Freude - dann doch erst einmal erstaunt über das Erscheinen von Rose: Sie habe doch gar keinen Brief geschrieben. Und hat zudem auch keine guten Neuigkeiten: Ein Experiment sei schief gelaufen, es drohe Gefahr, man müsse sofort runter vom Schiff.
Zuvor aber müssen sich die beiden Schwestern erst einmal finden in diesem gewaltigen Schiff. Was angesichts der Größe – aber auch der dort herrschenden Gefahren – gar nicht so einfach ist. Zum Glück meldet sich dann auch noch ein gewisser Aubrey, der sich im Maschinenraum versteckt hält und gerettet werden möchte. Der kann als Gegenleistung aus seinem Versteck zum Beispiel schon mal Türen öffnen, den Strom umleiten oder den Weg weisen, was doch ziemlich hilfreich ist. So weit die Ausgangslage. In der Rolle von Rose müsst Ihr also Ada finden, Aubrey retten, herausfinden, was auf der Helios schief gelaufen ist und die Katastrophe eventuell auch noch aufhalten – um dann am Ende lebend von dem Schiff wieder runterzukommen.
(Copyright: Storm in a Teacup)
Feinstes Art Deco
Die ersten zwei Spielstunden gestalten sich relativ ereignislos. Ihr müsst hier und da einige recht einfache Schalterrätsel bewältigen, deren Lösung meist auf der Hand bzw. in unmittelbarer Nähe liegt. Ein Inventar mit miteinander zu kombinierenden Objekten gibt es erst gar nicht. Wirklich problematisch wurde es bis dahin nur an einer Stelle – aber auch nur, weil die Symbole auf Schlüsselscheiben nur lesbar waren, wenn die Texturqualität auf „sehr hoch“ gestellt wurde. Ein Bug, den die Entwickler auf meinen Hinweis hin aber noch bis zum Release fixen wollen.
Wirklich beeindruckend ist aber auch da schon das großartige, dezent morbide Art-Deco-Design der Helios und die abwechslungsreichen, zum Teil prächtigen Räume. Für ein Indie-Spiel ist das schon eine fantastische Leistung. Vom versprochenen Horror ist bis dahin allerdings wenig bis gar nichts zu sehen. Das Game beschränkt sich auf einige kryptische Nachrichten, Szenen aus der Vergangenheit, die per Lichtpartikel-Personen in der Gegenwart auftauchen und Andeutungen des Kollegen Aubrey bezüglich seines neben ihm verwesenden Kollegen.
(Copyright: Storm in a Teacup)
Lahme Rose
Nachdem wir aber dann erstmal den ersten Teil von Adas Forschungsbericht gefunden haben, nimmt das Game Fahrt auf. So gibt’s erste Schockmomente, dezente Splatter-Darstellungen – die allerdings durch die etwas stilisierte Optik immer noch reichlich handzahm wirken - und tauchen seltsame Gestalten wie ein psychopathischer Killer oder temporale Anomalien auf, die Jagd auf uns machen. Wo dann – mangels Bewaffnung oder kämpferischer Fähigkeiten – nur die Flucht hilft. Letztere – eher sporadisch eingestreute Action-Einlagen – beziehen ihre Spannung allerdings mehr aus der Tatsache, dass unsere Rose geradezu erschreckend lahm ist und der kleinste Steuerfehler ausreicht, um unser Ende einzuläuten. So bedarf es mehrerer Versuche, bis wir den richtigen Fluchtweg auswendig gelernt haben und endlich entkommen.
(Copyright: Sony/Naughty Dog)
Schön düster
Seine eigentliche Motivation bezieht das Game aber weiterhin zum einen aus der stimmig-düsteren, atmosphärischen Spielewelt und seiner beklemmenden Soundkulisse, zum anderen aber auch aus der Story, die sich Stück für Stück zusammensetzt, aus den kleinen Überraschungen, die hier und da auf uns warten und aus den guten Dialogen, bei deren deutscher Synchronisation unter anderem die Youtuberin Lara Loft und Erik Schäffler, bekannt aus Mass Effect 2 und 3, beteiligt waren.
Der Schuss ins Knie
Umso ärgerlicher, dass Close to the Sun – der Name bezieht sich übrigens auf die griechische Mythologie, wo Ikarus in seinem Größenwahn der Sonne zu nah kam und abstürzte – dass Close to the Sun sich oft selber ins Knie schießt. Da fehlt eine freie Speichermöglichkeit, so dass ich beim nächsten Einstieg wieder am Kapitelanfang beginnen muss, nervt hin und wieder eine ungenaue Steuerung, bewegt sich Rose stellenweise so langsam, dass man sie anschreit, lassen sich Hotspots nicht einblenden und hätte man sich beim Rätseldesign gerne auch mehr Mühe geben dürfen.
(Copyright: Storm in a Teacup)
Fazit
Ich habe es – nach anfänglichem Zögern – dann letztendlich doch gerne und hochmotiviert durchgespielt. Trotz gelegentlicher Längen und überflüssiger Designfehler. Wer jetzt keinen Horror a la Resident Evil oder Dead Space erwartet, bekommt ein hochambitioniertes, unterhaltsames Indie-Game, das - trotz aller Fehler – vieles richtig macht und in seinen besten Momenten sogar ein wenig an Bioshock erinnert.
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